„Tanz auf Vulkan” wird zur Obstschale
Ausstellung Im Göppinger Christophsbad sind derzeit Skulpturen von Dr. Wilhelm Schäberle ausgestellt, die sich mit Lebens- und Problemwelten beschäftigen.
Von Inge Czemmel
Lebenswelten – Problemwelten” – der Titel der Ausstellung ist gut gewählt, denn Wilhelm Schäberles von Dualität und Ambivalenz geprägte Bronzekulpturen konfrontieren den Betrachter mit psychosozialen und gesellschaftspolitischen Lebensproblemen. Sie sollen zum Nachdenken anregen und aufzeigen, dass sich jedes Problem von mehreren Seiten aus betrachten lässt.
„In anderen Kulturen sind Gebrauchsgegenstand und Kunst oft eins.“
Wilhelm Schäberle Künstler
Trotz allen Ernstes, aller Zwiespältigkeit und Zerrissenheit blitzt in Schäberles Skulpturen immer wieder augenzwinkernder Humor auf. Die Schlange, die aus dem Hosenbein schlüpft, die als Schnecke daher kriechende Ampelkoalition, die eingerissenen Flügel eines flirtenden Greises – er bedient sich gerne der Symbolik, setzt aber auch Oberflächen-Struktur und Patina auf eigene Weise als Stilmittel ein, um die Aussage zu verstärken.
Wilhelm Schäberle beeinflusst den Oxidationsprozess mit Säuren, Salzen, Lösungen und Ein-brennungen aus Jute, Holz oder Draht, um verschiedene Farbeffekte und Oberflächen zu generieren. „Das Spiel mit der Patina kommt wohl daher, dass ich aus der Malerei komme”, verrät der Künstler, der sich erst vor einem Jahr Bronzeskulpturen zugewandt hat. Davor sammelte er bereits mit Holz und Sandstein Erfahrung. „Seither habe ich alle zwei Wochen eine Skulptur gemacht”, berichtet er. „Ich habe viel experimentiert und mir die Bronzekunst autodidaktisch erarbeitet.” Dadurch habe sich ein ganz eigener Stil herausgebildet.
Wilhelm Schäberle (rechts) bei einer Führung durch die Ausstellung mit seinen Bronzeskulpturen im Christophsbad.
„Für mich ist Kunst erst spannend, wenn sie eine Aussage hat und zum Nachdenken anregt”, betont er. Und warum sollte ein Kunstwerk, das die Ambivalenz zwischen Gut und Böse, Jung und Alt darstellen soll, nicht als Vase zu gebrauchen sein? Oder der Tanz auf dem Vulkan der Klimakrise nicht als banale Obstschale, indem man die Skulptur einfach umdreht? Kunst als Vase oder Kleiderhaken, die Idee wirkt etwas skurril, doch genau die Eigenwilligkeit ist es, die Schäberles Skulpturen zu etwas Besonderem machen. Da ist die Skulptur „Inspektion des Menschen”, bei der überall hin-
und hineingeguckt wird. Der Mensch ist zur Baustelle Mensch geworden, auf deren DNA-Leiter „Bauarbeiter” jedes Fachbereichs an Problemen doktern.
35 Jahre lang als Chirurg tätig
Überhaupt hat es Schäberle, der über 35 Jahre als Gefäß- und Viszeralchirurg tätig war und in diesem Bereich Ultraschallspezialist ist, die DNA des Menschen angetan. Zu sehen ist auch eine DNA-Doppelhelix als Leiter, an der Menschen hochklettern. Zum Teil rücksichtslos aufeinander tretend, zum Teil janusköpfig mit zwei Gesichtern vor- und zurückschauend. Die oberste menschliche Figur am Ende der Leiter zeigt in die Ferne und deutet damit an, dass der Aufstieg mit all den gegenseitigen Verletzungen letztlich umsonst war. Höher, schneller, weiter auf Kosten von anderen – ist das in der DNA des Menschen verwurzelt? Die Skulpturen konfrontieren allesamt mit Problemen, zwingen zum Hinschauen und zur Auseinandersetzung. In den 90er Jahren, in einer Zeit, in der Wilhelm Schäberle viel für „Ärzte ohne Grenzen” in Afrika unterwegs war, entstand die Prägung seiner Werke als Gebrauchskunst. „In anderen Kulturen sind Gebrauchsgegenstand und Kunst oft eins”, weiß er zu berichten. Aufbruch, Selbstbefreiung, Haben oder Sein, Selbstzweifel, zwischenmenschliche Beziehungen, Alterung, Bedrohung, Krieg, Klimakrise, moderne Heilkunst -Schäberles Themen werden ihm voraussichtlich nicht so schnell ausgehen.